Zuwanderung in einem christlichen Weltbild

Bedauerlich, dass sich nun auch die Wiener Zeitung in den Reigen jener einfügt, die auf emotionaler Ebene gegen Einwanderungswillige, Wirtschaftsflüchtlinge und „Asylanten“ Stellung beziehen, wie geschehen in dem Beitrag “Tolerant bis zur Selbstaufgabe?” von Martin G. Petrowsky, vom 22. 5. 2010.

Da wird als “Tatsache” beschrieben, dass “Wirtschaftsflüchtlinge … meist … weder die nötige fachliche und sprachliche Qualifikation, noch die nötige Lern- und Anpassungsbereitschaft besitzen”. Dem ist entgegenzuhalten, dass so genannte „Wirtschaftsflüchtlinge“, wenn sie offiziell in eine solche Kategorie eingeteilt werden, ohnedies wieder dorthin geschickt werden, wo sie herkommen. Keine Studie kann daher einen solchen Sachverhalt belegen, dies ist keine Tatsache, sondern eine bloße Meinung desjenigen, der sie erfindet.
Derart bietet dieser Text viele Gelegenheiten, Sätze des Vorurteils zu überführen, der Ungenauigkeit, der unbewiesenen Behauptung oder einer bloßen Meinung, die als Tatsache auftritt.

Da steht etwa: “Ihre politischen Führer, die sie oft gerne auswandern lassen, um derart die Arbeitslosigkeit oder ethnische Konflikte im eigenen Land zu mildern …”
Welche politischen Führer in welchen Ländern wären das beispielsweise, und wo wäre es ihnen gelungen?

Für den Vergleich von Moscheen mit Kasernen, den Erdogan nicht “oft” (Petrowsky), sondern im Rahmen einer Rede tätigte, saß er im Gefängnis, er hat sich 1999 davon distanziert. Hiemit soll nicht Erdogan verteidigt, sondern beispielhaft gezeigt werden, wie präzise in dem Artikel zitiert wird.

Es gebe, steht da außerdem, “nur wenige Gründe, die westliche Kultur als anderen Kulturen überlegen zu bezeichnen”. Von den wenigen Gründen wird sogar einer genannt: Unbestreitbar sei “ihre wirtschaftliche Überlegenheit, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen”. Der Reiche ist also dem Armen überlegen. Das schreibt jemand, der von sich behauptet, Christ zu sein. Was Jesus wohl dazu gesagt hätte? Aber das ist noch nicht alles. Diese Überlegenheit gelte es zu erhalten, denn ohne sie gebe es keine wirksame Entwicklungshilfe. Anders ausgedrückt und ganz im Sinne dieses christlichen Weltbildes: Gott erhalte mir die Armen, dass ich Gutes tun kann.

Der “Kampf der Kulturen” sei “bewusst programmiert und gewollt”, steht da zu lesen. Da stellt sich einerseits die Frage, ob man auch unbewusst eine Schlacht programmieren kann, andererseits sind es genau solche Inhalte, die den berühmten Kampf, der noch nicht ausgetragen wird, herbeibeten. Zeitungen, die sie drucken, machen sich unter dem Vorwand propagierter Meinungsvielfalt zu Handlangerinnen solcher Interessen.

In einem allerdings hat Herr Petrowsky Recht, nämlich dass „Zuwanderer … für (gesellschafts-)politische Ziele missbraucht” werden – beispielsweise im Rahmen solcher Artikel. Jesus dazu: “An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.” (Mt 7, 16). Ein evangelisch-lutherisches Weltbild, das der Autor zu vertreten vorgibt, haben wir von der Initiative Teilnehmende Medienbeobachtung uns bisher weniger hetzerisch vorgestellt und mehr um Versöhnung zwischen Menschen und Religionen bemüht – durch gründliche Analysen und die Bereitschaft zum gegenseitigen Akzeptieren und zum solidarischen Miteinander in einer Welt.

Um noch eine Formulierung von Herrn Petrowsky zu würdigen: „Erstaunlich und schade!“

 

Dr. Ingrid Thurner
Teilnehmende Medienbeobachtung
Institut für Kultur- und Sozialanthropologie
der Universität Wien