Der Kommentar erschien am 12. 10. 2017 in der Wiener Zeitung.
Von rechten Seiten wird die Islamisierung des Abendlandes befürchtet, was man tatsächlich feststellen kann, ist eine Islamisierung der Innenpolitik.
Der Islam ist zur Debatte Nummer eins geworden. Dabei bekennen sich gerade einmal 8 Prozent der Bevölkerung zu dieser Religion. Und 2016 wurden 39.860 Asylwerber registriert. Aber es scheint in diesen Zeiten und in diesem Wahlkampf nur einen relevanten Themenkomplex zu geben: Muslime, Flüchtlinge, Migration, Integration.
Wie kann es sein, dass gerade diejenigen, die alles verloren haben außer dem nackten Leben, die politische Szene beherrschen, Zeitungsspalten füllen und die garstigsten Emotionen der ansässigen Bevölkerung auf sich kanalisieren?
Bartträger, Burkaverhüllte und Bombenwerfer
Zuweilen nimmt die Debatte absurde Züge an, wenn auf der psychologischen Ebene Ängste geschürt werden, wenn in verschwörungstheoretischen Höhenflügen vor dem drohenden Untergang der europäischen Zivilisation durch Bartträger, Burkaverhüllte und Bombenwerfer gewarnt wird.
Manchmal geht es gar nicht in erster Linie um antiislamische Überzeugungen – Überzeugungen scheinen in der Politik ohnedies ausgedient zu haben – sondern allein um antiislamische Strategien, die in demagogischer Absicht eingesetzt werden, um Quoten, Clicks und Likes zu erzielen. Der transnationale Islam wird zu einer Bedrohung hochstilisiert von politischen und medialen Kräften, das Ziel ist die Schaffung von Reizthemen für User, Follower und Poster, die Verschönerung von Zugriffsstatistiken, die Vermehrung von Wählerstimmen. Aber der Zweck heiligt nicht das Mittel, schon gar nicht, wenn das Mittel die Konstruktion von Feindbildern ist, was wiederum zur Polarisierung der Gesellschaft führt.
Blau ist das neue Schwarz und färbt sich türkis.
Inzwischen versagen die gewohnten Einteilungen der demokratischen Farbsymbolik, was braun ist und was schwarz und rot, ist nicht mehr deutlich trennbar. Die Ängstlichen und die Angstmacher tummeln sich quer durch das Spektrum. Rechts und Links wechseln bei Bedarf die Seiten und die Parteien. Die bürgerliche Mitte schafft sich ab, sie ist dabei nach Rechtsaußen abzudriften. Diskursanalytisch ist bei einzelnen Themen zwischen rechts und konservativ nicht mehr zu unterscheiden. Blau ist das neue Schwarz und färbt sich türkis.
Probleme und Missstände, die soziale und ökonomische Ursachen haben, werden konfessionalisiert und auf dem Rücken einer religiösen Minderheit verhandelt. So werden die Geflüchteten als Sündenböcke haftbar gemacht für Übel aller Art von drohender Arbeitslosigkeit über Kriminalität bis zu importieren Viren: Die „Moslems“ waren es.
Besonders gut scheint das zu funktionieren, wenn man vorgibt, nicht in egoistischem Interesse zu sprechen und zu handeln, sondern die Rechte von Benachteiligten vor Muslimen schützen zu müssen – jene von Juden, Homosexuellen, Frauen.
Im Namen der westlichen Werte
Im jüngst in Kraft getretenen Verhüllungsverbot, vulgo Burkaverbot, wurde der weibliche Körper eingesetzt, um Politik und Stimmung zu machen – beschämend für eine Demokratie, die die Rechte von Minderheiten garantieren will. Mit dem Verbot gewisse Kleidung zu tragen wird den muslimischen Frauen das Selbstbestimmungsrecht entzogen. Mit diesem Gesetz wurden sie zu jenen unterjochten Wesen, für die man sie schon immer gehalten hat – im Namen der Integration und im Namen der westlichen Werte.
So wird die Religion politisiert und die Politik konfessionalisiert, und diejenigen, die „den politischen Islam“ als die große Gefahr herbeireden, beschwören diese gerade herauf – die Prophezeiung erfüllt sich selbst. Denn der soziale Friede, auf den man in Österreich so stolz ist, der Wien in allen Rankings seit Jahren zu einer der lebenswertesten Städte macht, wird zynisch aufs Spiel gesetzt – und zwar durch genau die politischen Verantwortungsträger, die eigentlich für dessen Bewahrung gewählt wurden.
All solchen islamfeindlichen Positionen unterschiedlicher Schattierungen ist öffentlicher Konsens auf breiter Basis sicher, regional, national, international. Die Täter haben Sympathisanten. Wer gegen die Vergiftung des sozialen Klimas, die Vereinfachung der Welt, die Verhetzung der Bevölkerung denkt, spricht oder schreibt, ist naiver Gutmensch, gemeingefährlicher Verharmloser oder – ganz einfach – eine dumme Person.
Wie sich herausstellt, sind keineswegs nur die schlecht Ausgebildeten, die Abgehängten, die Globalisierungsverlierer anfällig für die antiislamische Stimmungsmache. Die Angst-Parteien und Angst-Medien werken seit Jahren erfolgreich, sodass inzwischen allein schon der Gedanke an sozialen Abstieg genügt, um aus anständigen Menschen, die aus demokratischer Gesinnung Andersdenkende respektieren, islamophobe Berserker zu machen, die sich im Netz einen imaginierten Frust oder reale Aggressionen von der Seele schreien.
Und ganz nebenbei gerät fast in Vergessenheit, dass es nicht nur einen Terrorismus gibt, der sich auf den Islam beruft, sondern auch einen rechtsextremen Nazi-verherrlichenden, einer der ganz genuin europäischen Ursprungs ist, für den man niemanden anderswo auf der Welt haftbar machen kann.
Versucht man, diese Debatte von einer emotionalen auf eine sachliche Ebene zu senken, bleibt nur festzuhalten, was das Selbstverständliche ist: In Österreich herrscht Religionsfreiheit. Und es muss in einer Demokratie jede Person selbst entscheiden können, ob sie religiös ist oder nicht, ob sie ihren Glauben praktiziert oder nicht, ob sie ihr Bekenntnis durch Kleidung und Symbolik öffentlich macht oder nicht – die österreichische Verfassung ist hier ganz im Einklang mit dem Koran (2, 256): Es gibt keinen Zwang in der Religion.