Alte weiße Männer

Als Urheber von Übeln aller Art wurden „alte weiße Männer“ zum Kampfbegriff, zum gehätschelten Feindbild und zum beliebten Adressaten von Schuldzuweisungen in postkolonialen, feministischen, queeren und woken Diskursen.

Der Text ist erschienen auf Der Wert der Demokratie am 24. 1. 2025

Wer über alte weiße Männer herzieht, konzipiert zugleich eine homogene gesellschaftliche Gruppe, und schreibt ihr Macht, Privilegien und patriarchale Attitüden zu, verbunden mit verzopften Denkmustern, einer rassistischen Grundhaltung und klassistischem Elitedenken. Da jedoch keineswegs alle Angehörigen dieser demografisch nach Alter, Hautfarbe und Geschlecht eingegrenzten Gruppe über Macht und Einfluss verfügen, fasst der Begriff besagte Männer ebenso pauschalierend und undifferenziert, wie er jenen vorwirft zu sein.

Alte weiße Männer sind nicht immer schuldig im Sinne einer individuellen Schuld, wohl aber immer verstrickt – im Sinne des US-amerikanischen Historikers Michael Rothberg (The Implicated Subject, 2019). Wir alle – die Bewohner der westlichen hoch industrialisierten Länder – sind immer verstrickt, nicht persönlich haftbar als Täter, sondern als Mitläufer, überführt der Unterlassung. Hierin liegt Schuld im Sinne einer „gemeinsamen Verantwortung“ (Rothberg). Man wird in Machtverhältnisse hineingeboren, zu deren Perpetuierung man durch tägliches Handeln, durch Vorteilswahrnehmung, durch Duldung beiträgt, indem man nichts gegen sie unternimmt.

Im Übrigen sind alte weiße Männer nicht nur verstrickt in alle möglichen Machtsphären, die irgendwo Unterdrückung produzieren. Nicht selten sind sie selbst auch Opfer von Ängsten, der Ängste vor einem starken Feind, nämlich dem Feminismus, den sie bleichgesichtig und runzelig denunzieren, den sie – je schwächer und unsicherer, umso heftiger – bekämpfen, weil sie nämlich nicht nur um die Macht bangen, sondern sich auch vor dem sexuellen Versagen fürchten – Angst vor dem weiblichen Urteil also. Das Patriarchat ist nicht nur Lust, sondern auch Last. Und es macht krank. Männer leben ungesünder, sterben früher, haben eine höhere Selbstmordrate, sind anfälliger für Depressionen und Sucht, öfter obdachlos und bevölkern häufiger Gefängnisse als Frauen. Männer sind als Geschlecht privilegiert, aber nicht zwingend auch als Individuen.

Darüber hinaus kann die Schelte alter weißer Männer als analytisches Werkzeug vielleicht Ursachen von Missständen sichtbar machen, aber gewiss keine Lösungen liefern selbige zu beseitigen. Das woke, letztlich sexistische und ageistische Kampfgetöse ist genaugenommen kontraproduktiv, denn es verhindert durch die generalisierende Schuldzuweisung, dass unter jener gesellschaftlichen Gruppe, die am meisten Macht und Einfluss innehat, Mitstreiter und Sympathisanten im Kampf um Gerechtigkeit gefunden werden können.

Umso mehr gilt dies im Lichte gegenwärtiger politischer Entwicklungen, in denen der Typus Mensch, alt, weiß und männlich, geradezu eine Renaissance erlebt, repräsentiert durch die exzentrischen Chefs von Technologiekonzernen und die möchtegern-autokratischen Herrscher größerer und kleinerer Staaten. Ganz offen reden sie über eine Remaskulinisierung ihrer Gesellschaften und tarnen dergleichen Forderungen nicht einmal mehr als Altherrenwitz, sondern meinen es ganz ernst. Größte Wachsamkeit ist geboten, da sie entschlossen scheinen, verlorene Machtpositionen zurückzuerobern, die ihnen in Jahrzehnten demokratischer Fortschritte, linker Hegemonie, weiblicher Ermächtigung und diverser Kämpfe um Gleichstellung abhandengekommen sind oder zumindest streitig gemacht wurden.