Neigen Türken eher zu Gewalt?

Ein einzelner Türke verübt eine Gräueltat, und Die Presse fragt am 26. 5. 2012 „Neigen Türken eher zu Gewalt?”

Kann man von einem einzelnen Mann, der ausrastet, gleich Rückschlüsse ziehen auf alle Personen mit gleicher Nationalität, in diesem Falle gegen 75 Millionen Menschen?

Und die Krone, die dieser induktiven Beweisführung aufgesetzt wird, ist es, eine Uralt-Studie aus einem Nachbarland als Beleg heranzuziehen, die Handlungsweisen anhand von ethnischen Zugehörigkeiten untersucht. Da fragt man sich ja unwillkürlich, warum der Rest der 75 Millionen nicht auch seine Kinder erschießt.

Wieso kommt in Fällen, in denen österreichische Männer gewalttätig werden – und davon gab es in den letzten Jahren genug –, niemand auf die Idee zu fragen: „Neigen Österreicher eher zu Gewalt?“

Stellen Sie sich vor, ein Mann mit österreichischem Migrationshintergrund tötet in der Türkei sein Kind und eine türkische Zeitung, die sich stets Qualitätszeitung nennt, fragt: „Neigen Österreicher eher zu Gewalt?” Und dann wird zwecks positiver Beantwortung der Frage eine 14 Jahre alte Studie herangezogen, die in Syrien erstellt wurde. Was würden Sie, Herr Redakteur, wohl von so einem Artikel halten?

Ein solcher Artikel ist nicht integrationsfördernd, sondern im Gegenteil ausgrenzend. Nicht Soziologie kann dergleichen Fälle erklären, hier ist eher Psychologie zuständig, und die wird im letzten Absatz auch völlig ausreichend herangezogen. Da muss man kein “traditionelles, von Dominanz und Gewalt geprägtes Männlichkeitskonzept” bemühen, das man einem ganzen Millionenvolk unterstellt. Einem derartigen Rückgriff auf vermeintliche kulturelle Gegebenheiten, die man als Rucksack über Generationen hinweg mitschleppt, ohne sie ablegen zu können, liegt ein längst veralteter Kulturbegriff zugrunde, worauf im Übrigen von TMB schon des Öfteren hingewiesen wurde.

 

Ingrid Thurner
Initiative Teilnehmende Medienbeobachtung
Institut für Kultur- und Sozialanthropologie
Universität Wien