Täter und Täterinnen

Über Gewalt gegen Frauen und ihre Ursachen

Der Kommentar ist in der Wiener Zeitung vom 16. 12. 2020, S. 21 erschienen.

Anlässlich der internationalen Aktionstage im November und Dezember veröffentlichte der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) die Broschüre „Gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Handlungsmöglichkeiten und Präventionsmaßnahmen. Ein Leitfaden für Multiplikator/innen“.

Die Vorstellung dieses Produktes lieferte der Integrationsministerin einen Anlass für einen ihrer bekannt integrationsfeindlichen Auftritte, in denen eine bestimmte Menschengruppe pauschal an den Pranger gestellt wird. Die meisten Medien übernahmen dann die Agenturmeldung mehr oder weniger wörtlich.

In den Vordergrund gerückt werden „traditionsbedingte und sogenannte ehrkulturelle Gewalt“. Es wird mit politischen Kampfbegriffen wie „Genitalverstümmelung“, „Zwangsehen“ gearbeitet, und gelernte Österreicher wissen inzwischen, dass damit muslimische Gewalttäter gemeint sind – so häufig und regelmäßig wie ihnen dies in den letzten Jahren von gewissen Parteien und gewissen Medien eingetrichtert wurde.

Die Formulierung „aber auch rassistisch motivierte Gewalt“ geht dabei eher unter. Sie wird in der Aussendung und in den Medien, die sie verbreiten, nicht explizit als das benannt, was sie ist, nämlich genuin österreichische rechtsextreme Gewalt, die sich gegen Ausländer und Zuwanderinnen, gegen Muslime und Musliminnen und zunehmend, etwa in Kanzlerreden, auch gegen den Westbalkan richtet.

Betreffend die Broschüre selbst ist einiges positiv hervorzuheben. Das Gewaltkonzept des norwegischen Friedens- und Konfliktforschers Johan Galtung dient – ohne es konkret zu benennen – als Basis und wird der Thematik entsprechend adaptiert.

Es wird betont, dass gewisse Verbrechen wie Zwangsverheiratung oder FGM keineswegs konfessionsgebunden sind, sondern in Gesellschaften vorkommen, die stark patriarchal strukturiert sind und zwar in aller Welt, auch in Europa. Hinzufügen könnte man, dass noch einige weitere Faktoren maßgeblich sind, nämlich, dass Menschen, die diese Praktiken anwenden, ökonomisch und politisch marginalisiert sind und dass solche Gewalt mit zunehmendem Wohlstand und mit zunehmender Bildung abnimmt. Insofern ist durchaus auch der österreichische Staat in die Pflicht zu nehmen, wenn die Täter und Täterinnen hier sozialisiert sind, das Schulsystem durchlaufen und dennoch schlechte Berufsaussichten und Aufstiegschancen für sie und ihre Kinder bestehen.

Negativ an dem Leitfaden ist das Ungleichgewicht, das rechtsextreme Gewalt erfährt, gerade einmal fünf Seiten gegenüber 19 Seiten über „Gewalt gegen Frauen im Kontext von Migration und Integration“. Nur einige dürre Sätze sind den verbalen Übergriffen und den Benachteiligungen gewidmet, denen sich Migranten und Asylwerberinnen und deren Nachkommen nicht entziehen können, nämlich in Form von struktureller Gewalt durch Behörden, in der Schule, am Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche, selbst in der Gastronomie, wo sie ja Kundschaft sind.

So sind etwa Musliminnen, die Kopftuch tragen, intersektionalen Ungleichbehandlungen ausgesetzt, nämlich wegen Geschlecht, Herkunft, Religion, Kleidung und – wenn sie das Deutsche nicht fehlerfrei meistern – auch noch wegen der Sprache.

Und im Übrigen sollte – der Vollständigkeit halber und um der Geschlechtergerechtigkeit willen – die weibliche Beteiligung an männlichem Gewalthandeln nicht unter die Tische gekehrt werden. Frauen sind nicht nur Komplizinnen und stillschweigende Dulderinnen von Gewalt, sie sind immer wieder involviert – wenn auch in weit geringerer Zahl –, etwa wenn es um Kindesmisshandlung, Kindesmissbrauch oder Kinderpornographie geht.

Auch innerhalb eines patriarchal hierarchisierten soziopolitischen Systems erweisen sich Frauen als Feindinnen der Frauen und Mütter als Feindinnen der Kinder, etwa indem sie das Gewalthandeln bei Eheschließungen und Genitalverstümmelungen mitorganisieren.

In einem gesellschaftlichen Kontext, in dem Individuen nicht auf die Unterstützung jenes Staates zählen können, in dem sie leben, wird sehr viel Wert gelegt auf soziale Allianzen. So wird eine Heirat weniger als Angelegenheit zwischen zwei Individuen betrachtet, sondern als freudiges Ereignis, das zwei Familien verbindet, und somit Gruppenzugehörigkeiten schafft und ökonomische Positionen stärkt. Deswegen sind auch Mütter sehr bedacht auf Status, auf regelkonformes Verhalten der Kinder im Alltag und auf Heirat des Nachwuchses mit passenden Kandidaten.

Auch hier wären der Staat und die Mehrheitsgesellschaft gefordert, Lebensumstände für Asylwerber und Zuwanderinnen zu schaffen, in denen sie Vertrauen in die österreichischen Institutionen entwickeln können, sodass Praktiken, die nicht in ein westliches Gesellschaftssystem passen, obsolet werden.

Die Broschüre des Österreichischen Integrationsfonds