Je mehr sich Europa nach außen abschottet, desto öfter stolpern Leser über Formulierungen wie „fremde Kulturkreise“ oder „andere Kulturkreise“. Eine Klarstellung.
Der Kommentar ist am 3. 5. 2016 in der Wiener Zeitung erschienen.
Wenig überraschend müssen Kulturkreise besonders dann herhalten, wenn Unterschiede zwischen Menschen zementiert und bestimmte Gruppen ausgegrenzt werden.
Die Genese des Begriffs kann, wer will, in Wörterbüchern und Online-Lexika nachlesen, in der Wissenschaft, aus der er stammt, der Ethnologie, wurde er nach dem Nationalsozialismus endgültig verworfen. Der Grundgedanke hat allerdings in den 1990ern durch das Buch von Samuel P. Huntington – „Kampf der Kulturen“ – eine Renaissance erfahren, und auch in der Alltagssprache feiert der Kulturkreis nun fröhliche Urständ.
Die Kriterien für die Absteckung solcher Kulturkreise werden dabei selten definiert, eher unbedacht angewandt und entstammen willkürlichen Kategorien: Einmal ist es die Geographie (europäischer, westlicher Kulturkreis), dann die Religion (islamischer, christlicher Kulturkreis), einmal die Sprache (der deutsche Kulturkreis), dann wieder die Astronomie (der abendländische Kulturkreis).
Solche Konstruktionen basieren auf einem holistischen Konzept von Kultur, das alle Individuen im abgegrenzten Bereich einbezieht, alle Lebensformen, Institutionen, Berufe in einem geschlossenen Topf zusammenpfercht. Diversitäten innerhalb des Topfs werden ignoriert.
Doch bereits ein oberflächlicher Blick offenbart, dass sich unter Attributen wie westlich, abendländisch, christlich usw. mannigfache Inhalte versammeln. Wie unterschiedlich sind etwa USA und Bulgarien (beide westlich, abendländisch), Irland und Russland (beide christlich), Spanien und Italien (beide katholisch), Saudi-Arabien und Indonesien (beide muslimisch)?
Implizit wird so getan, als ob jeder so genannte Kulturkreis ein homogener Block wäre, in sich kohärent und nach außen dicht. Dies ist jedoch für keine Epoche gültig, immer schon waren wechselseitige Kontakte und Beeinflussungen über weite Distanzen hinweg befruchtend. Umso mehr gilt dies in einer Ära der Globalisierung mit Migrationsbewegungen nie gekannten Ausmaßes, ob sie nun freiwillig geschehen (im Rahmen von Ausbildung, Arbeit, Erholung, Urlaub) oder erzwungen sind (Kriege, Katastrophen, Armut).
Eine solchermaßen totalisierte Kultur wird gepaart mit eher vage definierten Werten, den als verschieden wahrgenommenen Kulturkreisen werden verschiedene Werte zugeschrieben, und ihre Nicht-Kompatibilität wird angenommen. Von da zu einem Chauvinismus, zur behaupteten Überlegenheit der einen über die andere Kultur, des einen über den anderen Menschen, ist es nur noch ein kleiner Schritt, Nationalismen sind die Folge.
Wenig überraschend zeigt eine kursorische diskursanalytische Betrachtung, dass „unser Kulturkreis“ gern gemeinsam aufscheint mit Worten und Formulierungen wie: Werte, bewahren, bedroht, verseucht, ich bin kein Rassist, aber …
Bei unüberlegtem Wortgebrauch werden die Konnotationen nicht mit bedacht und sind gar nicht immer beabsichtigt. Deswegen wird aus kultur- und sozialanthropologischer Sicht vorgeschlagen, Kulturkreise im Mülleimer der Begriffsgeschichte zu entsorgen. Stattdessen könnten je nach Kontext Ländernamen stehen oder man beschreibt das konkrete Problem, das ansteht, ohne veraltete Kulturkonzepte zu strapazieren.
Ingrid Thurner
Initiative Teilnehmende Medienbeobachtung
Institut für Kultur- und Sozialanthropologie
Universität Wien