Der Text erschien am 2. 1. 2018 in der Wiener Zeitung.
Die Trophäendebatte – changierend zwischen Kopfjäger-Mythos, voyeuristischem Gruseln und Ausstellungs-Richtlinien – wirft allerhand Fragen auf, auch zum Umgang mit dem Fremden in der Gegenwart.
Museen, Auktionshäuser und Galerien, die auf der moralischen Höhe der Zeit agieren wollen, entfernen präparierte Leichenteile, pietätvoll menschliche Überreste genannt, aus ihren Vitrinen, Verkaufsräumen und Katalogen. Es gilt nunmehr als unethisch, Trophäenschädel in ihrem kulturellen Kontext vorzustellen oder gar durch Handel eine Wertsteigerung anzustreben. Dabei verlangt der Internationale Museumsrat (ICOM) in seinen Ethischen Richtlinien zur "Ausstellung sensibler Objekte" nicht, diese zu unterlassen, sondern nur, sie "mit Taktgefühl und Achtung vor den Gefühlen der Menschwürde, die alle Völker haben, zu präsentieren".
Besonders laut ertönen Proteste von Aktivisten und Menschenrechtsbeauftragen, von Grünen und Linken, wenn die Trophäenköpfe als Beute siegreicher kriegerischer Handlungen auf einen Mord zurückgehen und die Demütigung eines Feindes besiegelten.
Aber die Unsichtbarmachung einer Gewalttat macht sie nicht ungeschehen. Die präparierten Skelettteile aus allen Kontinenten befinden sich nun einmal in den Sammlungen, haben Inventarnummern, sind in Staatsbesitz.
Bevor man die inkriminierten humanen Reste in den tiefen, feuchtigkeitsoptimierten Kellern der Museen verschwinden lässt (bis eines Tages die Kuratoren der nächsten Generation sie wieder ans Tageslicht holen), wäre eine breite Diskussion angemessen, eine ethnologische und kolonialgeschichtliche Kontextualisierung, auch über Provenienz, die Art der Akquirierung und verschiedene Sichtweisen, die die Nachfahren der ehemaligen Besitzer von Schädeltrophäen ebenso einschließen wie ihre besiegten Feinde, um deren Köpfe schließlich die Debatten entbrannt sind.
Die derzeitige Beschreibung einer solchen Kopftrophäe aus Brasilien auf der Webseite des Weltmuseums (https://www.weltmuseumwien.at/object/460435/#object-data, Abfrage 2. 1. 2018) wird diesem Anspruch allerdings nicht gerecht. Sie lautet lapidar: "Menschlicher Kopf, Haare, Baumwolle, Federn, Harz, Nagetierzähne".
In der Ausstellung selbst vermisst man in der Vitrinenbetextung eine Stellungnahme von Nachfahren besiegter Gruppen, denen der Erschlagene angehören könnte.
Aber nur durch Kommunikation von fachspezifischem Wissen kann aus der Gier nach Sensationen und der Beschau von Kuriositäten ein echtes Interesse an der Vielfalt menschlicher Handlungsweisen und gesellschaftlicher Organisationsformen entstehen, das über ein pures exotistisches Staunen hinauswächst. Kopftrophäen sind nicht als isoliertes kulturelles Relikt mit ästhetischem Mehrwert und hohem Marktpreis zu betrachten. Sie waren in komplexe soziale, rituelle und spirituelle Gefüge eingebunden und bedeuteten auch eine Form der Wertschätzung und sogar des Respekts dem Feind gegenüber, was aus westlicher Perspektive vielleicht unverständlich, befremdend oder absurd klingt.
Jedenfalls ist es nicht auf der Höhe der Zeit und der Wissenschaft, Indigene entweder als primitive Wilde oder als edle Wilde anzuschauen. Allerdings stehen in verschiedenen Kontexten, in Film und Werbung und vor allem auch im Tourismus-Bereich, solch exotisierende Fremdzuschreibungen noch immer hoch im Kurs, um dem Begehren von Konsumenten entgegenzukommen.
Indigene sind Menschen wie alle anderen auch, gut und böse, mit Interessen und Sehnsüchten, mit Geschichte und einem gewordenen Wertekomplex, den es in der musealen Präsentation zu berücksichtigen gilt und zwar nicht in paternalistischer Bedeutungsproduktion über ihre Köpfe hinweg, sondern nach Rücksprache und mit Einverständnis.
Was den Kunsthandel betrifft, kann man sicher sein, dass die Körperteile, wenn sie nicht in offiziellen Häusern verkauft werden dürfen, weder restituiert noch würdig bestattet werden, sondern preissteigernd auf den internationalen Kunstschwarzmärkten landen. Von dort gelangen sie in Privatsammlungen und sind verloren, für die Nachfahren der Töter und Getöteten ebenso wie für die Wissenschaft.
Die menschlichen Überreste sind aber nicht nur Zeugnisse, Visitenkarten sozusagen, ihrer ehemaligen indigenen Besitzer. Allein durch ihre Anwesenheit verdeutlichen sie die Persistenz von Kolonialität. Sie gelangten durch Händler, Seeleute, Missionare, Abenteurer und Forschungsreisende aus aller Welt nach Europa, waren Souvenir, Mitbringsel, Kunstgegenstand, Wertartikel, wissenschaftliches Studienobjekt, landeten auf Trödelmärkten, in Kuriositätenkabinetten, in Privatsammlungen und Museen. Und sie erzählen weniger von der Barbarei der als unzivilisiert und roh betrachteten Indigenen, die es in der vorgestellten Form nicht gab, als vielmehr von der Barbarei des Kolonialismus.
Forschungsreisende waren zunächst die Vorhut der europäischen Expansion in alle Welt, die diese erst ermöglichten. Und dann waren sie ihre Nutznießer, weil die kolonialistischen Vernetzungen das Reisen in außereuropäischen Gebieten außerordentlich erleichterten, durch die infrastrukturelle Erschließung, durch Sicherheit und Schutz, die sie gewährten. Imperialismus und Forschung begünstigten einander wechselseitig, wie etwa Walter Sauer in seinen Untersuchungen zur habsburgischen Kolonialpolitik aufzeigte.
Aus wissenschaftshistorischer Sicht sind die Verstrickungen der Ethnologie in imperiale Unterdrückungsmaschinerien heute unbestritten, nicht erst seit der Anwendung poststrukturalistischer und postkolonialer Denkmodelle und damit einhergehender Selbstreflexivität akademischer Disziplinen. Durch kolonialistische Herrschaft erst ermöglicht wurde ein Wissenstransfer in großem Stil in die alte Welt. Und die Kenntnisse um die neuen Welten wuchsen in dem Maß, in dem sich die weißen Flecken auf den Landkarten verringerten. Parallel dazu füllten sich die Völkerkundemuseen.
Und in den Methoden, mit denen die Dinge erworben wurden, war man nicht zimperlich. Skulpturen und Masken, die heute auf den Kunstmärkten um Millionen den Besitzer wechseln, wurden je nach Zeit und Ort um ein paar Eisennägel, Glasperlen, Salz oder was gerade handelbar war, eingetauscht. Auch Einbruch und Raub waren gang und gäbe. Die größten Ethnologen der Zeit plünderten Anfang der dreißiger Jahre Afrika systematisch von West nach Ost und füllten mit dem Diebsgut das Musée de l’Homme in Paris. Michel Leiris hat dies eindrucksvoll beschrieben in seinem Tagebuch, das einen Skandal auslöste, weil er öffentlich machte, was alle wussten, aber niemand zugeben wollte (dt. Phantom Afrika).
Man könnte behaupten, dass der Barbarei der Gewalttat die Barbarei einer Ausstellungspraxis entspreche, die solcherart ein voyeuristisches Gruseln nicht nur legitimiere, sondern begünstige und zudem die koloniale Machtmatrix perpetuiere. Zweifellos ist allein schon die Tatsache, dass eine erhitzte öffentliche Debatte vonnöten ist, bevor die menschlichen Relikte aus den Blickfeldern verschwinden, eine Bestätigung hegemonialer Repräsentationssystematik.
Und heute geht man also dazu über, koloniale Blickregime aufzubrechen, ist respektvoll mit den Leichenteilen und sensiblen Materialien, befragt Indigene, wie sie im Museum repräsentiert werden wollen, berücksichtigt sogar ihre Wünsche, restituiert selbst dann und wann Objekte an die Nachfahren, was ja letztlich die Existenz ganzer Museen gefährdet. Die Verantwortlichen tun ihr Möglichstes, die Sünden und Verbrechen der Altvorderen nicht länger unter den Tisch zu kehren, und das ist gut so.
Durch Kooperation aller Beteiligten können Gegennarrative entstehen, die dazu beitragen, aus der Verschiedenheit von Regel- und Ordnungssystemen zu lernen und dadurch zu einem grundsätzlich besseren Verständnis gegenüber dem kulturell als fremd Empfundenen zu gelangen.