Aus verschiedenen Gründen bietet Covid-19 wieder Anlass für Hetze.
Der Kommentar ist unter dem Titel "Das Virus und der Islam" in der Wiener Zeitung vom 6. 5. 2021, S. 22 erschienen.
Zu Beginn der Vireninvasion hat es eine Weile lang so ausgesehen, als ob Zugewanderte, ihre Nachkommen und Musliminnen für einmal in Ruhe gelassen werden, weil das Aufbauen neuer Feindbilder für die professionellen Aufwiegler attraktiver war.
Aber schon bald lieferte Corona den üblichen Verdächtigen in den digitalen Netzwerken und den Boulevard-Medien wieder einen Vorwand gegen den Islam und seine Angehörigen zu sticheln. So wird gerade behauptet, dass Muslime und Musliminnen im Ramadan Tests und Impfungen verweigern.
Die Urheber solcher Vorwürfe mögen sich doch bitte an Ort und Stelle in den medizinischen Servicezentren überzeugen, wie viele Muslime und Musliminnen dort angemeldet sind und geduldig in der Reihe stehen. Sie mögen auf der Webseite der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) nachschlagen oder sich in deren Kanälen auf den digitalen Netzwerken informieren, was muslimische Theologen den Gläubigen in Bezug auf die Viren nahelegen. Sie würden feststellen, dass detaillierte Coronakonzepte ausgearbeitet wurden und penibel Anweisungen gegeben werden, wie man sich in den Moscheen und bei allen Gemeindeaktivitäten zu verhalten hat. Möglichst viele Beratungstätigkeiten werden auf Tele-Seelsorge umgestellt, und es wird immer wieder an die Eigenverantwortung appelliert.
Man könnte sich auch über die Virenbekämpfungsmaßnahmen in den mehrheitlich islamischen Ländern erkundigen und würde erfahren, dass beispielsweise in einigen der finanzkräftigen Staaten des Persisch-Arabischen Golfs – in Saudi-Arabien, den Emiraten, Qatar und Bahrain – mehr (zum Teil weit mehr) Dosen prozentual zur Bevölkerung verabreicht wurden als in Österreich.
Muslimen und Musliminnen pauschal Impfunwilligkeit zu unterstellen, ist also einfach nur Böswilligkeit. Uneinsichtige, Coronaleugner, Querdenkerinnen und Verschwörungsideologen gibt es in allen Milieus, religionsspezifisch ist das nicht.
Auch der ZARA Rassismus Report 2020 nennt Diskriminierungen mit Bezug auf Covid-19, sie sind vor allem gegen Geflüchtete und Angehörige des Islam gerichtet. Immer wieder stößt man auch auf Hetzberichte und Postings gegen diese Gruppen, weil sie die Intensivstationen in Anspruch nehmen müssen.
Tatsächlich wurde weltweit festgestellt, dass Personen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte überdurchschnittlich viele Covid-19-Infektionen und schwere Krankheitsverläufe aufweisen. Die Gründe sind etwa fehlender Zugang zu Krankenversicherungen und zum Gesundheitssystem und deswegen nicht behandelte Vorerkrankungen. Zudem werken diese Gruppen in systemrelevanten Berufen (Verkauf, Lieferung, Gesundheitsversorgung) mit vielen Personenkontakten, ihr Leben wird bestimmt von unregelmäßiger Beschäftigung, schlechter Bezahlung, engen Wohnverhältnissen, coronabedingter Arbeitslosigkeit.
Dies sind strukturelle Diskriminierungen, die Ursachen liegen in gesellschaftspolitischen Faktoren. Mit Religion haben sie rein gar nichts zu tun. Es ist traurig und unwürdig, dass Menschen, die ohnedies schon benachteiligt sind und deswegen kränker, auch noch dafür Schelte beziehen.
Ingrid Thurner
Initiative Teilnehmende Medienbeobachtung
Institut für Kultur- und Sozialanthropologie
Universität Wien