Ukraine und die EU: Über Diskriminierungen, Doppelmoral und Sippenhaftung für Tote
Der Kommentar ist in der Wiener Zeitung am 21. 3. 2022, S. 14 erschienen.
Es ist erfreulich, dass die EU und Österreich nicht zögern, Flüchtlinge aus Ukraine aufzunehmen, dass die bürokratischen Hürden unverzüglich durch entsprechende Verordnungen aus dem Weg geräumt wurden, dass Hilfe rasch und effizient möglich ist.
Weniger erfreulich ist die Ungleichbehandlung, die Geflüchteten zuteilwird. Drittstaatsangehörigen, Gastarbeitern etwa und Studenten, die in Ukraine zwar einen Aufenthaltstitel besitzen, aber keine Staatsbürgerschaft, die keine Ehepartner oder andere familiäre Verbindungen haben, sind zwar genauso gefährdet an Leib und Leben durch die Kriegshandlungen. Jedoch sind sie weit strengeren Bestimmungen unterworfen. Österreich ist hier ebenso restriktiv wie die Visegrád-Staaten – wieder einmal – und dies bei grüner Regierungsbeteiligung. Auch die Asylsuchenden, die in den letzten Jahren aus Syrien, Afghanistan und Iraq auszureisen gezwungen wurden, bekommen ein ganz anderes Bild von der Friedensgemeinschaft, als die sich die EU gerade feiert, ebenso die Vertriebenen, die an den Außengrenzen in Belarus und Serbien oder vor den Toren der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla auf marokkanischem Gebiet zu Tausenden ein elendes Dasein fristen.
Ein Herr Waldhäusl ist sich nicht zu schade, die Geflüchteten gegeneinander auszuspielen – so berichtet meinbezirk.at – und einen Seitenhieb gegen junge Männer aus Afghanistan und Syrien zu platzieren, denn “genau diese belegen jetzt die Plätze, die die Flüchtlinge aus der Ukraine so dringend benötigen“.
Es wird also unterschieden in gute und schlechte Flüchtlinge. Auch wenn es schwerfällt, es auszusprechen oder hinzuschreiben: Die Guten, das sind die bleichgesichtigen, christlichen und die Anderen, das sind die nicht ganz so blasshäutigen, muslimischen. Es gibt dafür ein böses, wenn auch treffendes Wort, es lautet “Rassismus“.
Es ist auch unerträglich, dass Künstler und Sportler zu Stellungnahmen gegen den Krieg gezwungen werden, nur weil sie eine russische Staatsbürgerschaft besitzen. Wer von vorneherein qua Nationalität unter Generalverdacht steht, Staatskünstler, Kriegsverherrlicher und Putin-Adorant zu sein, empfindet das als Menschenhatz.
Auch dafür gibt es ein Wort, es heißt “Sippenhaftung“ – eine Kollektivhaft also. Aber in einem rechtsstaatlichen Verständnis von Schuld ist diese an individuelles Handeln gebunden. Zudem wird eine Beweislastumkehr angewandt: Es gilt die Schuldvermutung. Wer russischer Staatsbürger ist, muss erst einmal sein Nicht-Involviert-Sein beweisen und ein Bekenntnis gegen Krieg, gegen Putin und für Ukraine ablegen. Absurd wird es, wenn Veranstalter – wie geschehen – Stücke von russischen Komponisten absetzen. Da werden Tote in Sippenhaft genommen.
Zum Glück brachte es dieser Tage eine Persönlichkeit mit Gewicht auf den Punkt, Ai Weiwei, dessen Kunst zugleich Politaktivismus ist. Im Rahmen seiner Personale in der Albertina Modern warf er dem Westen Heuchelei und Zensur vor.
Der Ukraine-Krieg bringt einige wenig schöne Seiten Europas so richtig gut zur Geltung.