Herr Houellebecq, so läuft das nicht

Allahs Herrschaft über das Abendland – der Roman um eine muslimisch dominierte Politik in einem europäischen Land scheint göttlich inspiriert. Aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail.

Der Essay zu Michel Houellebecqs Roman Unterwerfung ist erschienen in schreibkraft, Ausgabe 29 (verspielt), 2016, S. 62-64 → →

Die Pietà des Arabischen Frühlings

Zum Kommentar “Die Pieta des ‘Arabischen Frühlings'” in Die Presse vom 7. 9. 2012 über das Pressefoto 2011:

Wir stimmen überein, dass das preisgekrönte Pressefoto einen westlichen Blick auf die Vorkommnisse im arabischen Raum offenbart. Aber keineswegs ist diese Frau wegen ihrer Vollverschleierung ihrer Identität beraubt. Sie nennen ja sogar ihren Namen, der weltweit bekannt ist. Welches sprechendere Zeichen der Individualität gibt es als den Namen? → →

Zum Hadsch. Die Pilgerfahrt nach Mekka

Es ist erfreulich, dass Die Presse (Abfrage 9. 11. 2011) in einer Bildergalerie mit dem Titel “Hadsch nach Mekka. Die größte Pilgerreise der Welt” die Pilgerfahrt nach Mekka in Wort und Bild veranschaulicht, es haben sich dabei jedoch Irrtümer und Ungenauigkeiten eingeschlichen.

1:
Dies ist nicht die größte Pilgerreise der Welt, sondern die größte, jährlich stattfindende.
Es heißt “der” Hadsch und nicht “die” Hadsch, im Arabischen ist das ein maskulines Wort, der Duden weiß das auch.

7, 15, 17, 19, 21, 23, 25, 29:
Mehrere Fotos zeigen den Berg Hira, sind aber mit falschen Bildtiteln versehen. Der Besuch der Höhle Hira, in der der Prophet Muhammad seine erste Offenbarung erhielt, ist nicht Teil des Hadsch, keineswegs alle Gläubigen suchen sie auf.

13:
Die merkwürdigen Bezeichnungen “große” und “kleine” Wallfahrt sind eine europäische Erfindung, im Arabischen heißen die zwei Formen des Pilgerns Hadsch und Umra.

19:
Das Bild zeigt nicht den Lauf zwischen den Hügeln Safa und Marwa, sondern das Besteigen des Bergs Hira.

20: Hier ist nicht die Wanderung zum Berg Arafat dargestellt, sondern ein Platz vor der Moschee al-haram in Mekka, und zwar nicht während des Hadsch, denn die Leute tragen eben nicht den Ihram (für Männer zwei weiße Tücher), sondern Alltagskleidung. Ihram heißt der Weihezustand und das Gewand, der Gläubige selbst im Ihram heißt Muhrim (fem. Muhrima).

21: Dies ist nicht die Ebene Muzdalifa, in der die Kieselsteine gesammelt werden, die Aufnahme stammt vom Berg Hira.

22: An vielen Orten der Welt opfert der Familienvater den Hammel, nur gerade nicht in Mina, dort passiert das Schlachten im Schlachthaus und liegt ausschließlich in professionellen Händen, alles andere ist nach Verfügungen der saudischen Behörden illegal. Im Rahmen des gesamten Hadsch sehen, hören und riechen die Gläubigen vom Schlachten nichts. Es besteht demnach aus dokumentarischer Sicht kein Anlass für die Veröffentlichung blutrünstiger Fotos.

25: Die Fahrt nach Medina und die Gebete am Grab des Propheten sind nicht Teil des Hadsch. Der Titel Hadsch (fem. Hadscha) wird auch erworben, wenn Medina nicht aufgesucht wird.

Nur die spektakulären Ereignisse und Dinge sind in dieser Fotoserie dargestellt und keineswegs diejenigen, die Muslime als die Wichtigen erachten würden. Für die Gläubigen stehen die einzelnen Etappen der Pilgerfahrt im Mittelpunkt, das spirituelle Erleben, die Begegnungen mit Angehörigen ihrer Religion aus allen Teilen der Welt. Negative Begleiterscheinungen werden sehr bedauert, aber keineswegs ins Zentrum der Betrachtung gerückt.
In diesen Bildern und Bildtiteln hingegen findet sich eine Überbetonung von Sicherheitskräften, Steinigung des Teufels, geschlachteten Widdern, viel Blut und viele Tote, Unfälle und Attentate. Gilt auch hier: Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten?

Statt dessen könnte man auch Hintergründe, Historie und Sinn der Pilgerfahrt erklären, beispielsweise, dass sie zu Ehren von Abraham stattfindet, der als Ahnherr der drei großen monotheistischen Religionen im Mittelpunkt der Rituale steht.

Oder dass das Besteigen des Bergs Arafat das zentrale Ereignis des Hadsch ist: 2,9 Millionen Menschen aus fast allen Staaten der Welt, weiß gekleidet, stehen – alle gemeinsam – von Mittag bis Sonnenuntergang im Tal, weil auf dem Berg selbst nicht genug Platz ist, preisen Gott und reflektieren ihr Leben. Und wenn Gott die Pilgerfahrt annimmt, sind alle Sünden vergeben.

Man könnte auch darauf hinweisen, dass der Hadsch ein emotional stark besetztes, tiefes spirituelles Erleben bedeutet. Er ist ein Sinn und Identität stiftendes, das Gemeinschaftsgefühl förderndes Ritual, die wichtigste Begebenheit in der religiösen Biografie der muslimischen Gläubigen und für viele das bedeutendste Ereignis in ihrem Leben.

 

Ingrid Thurner
Teilnehmende Medienbeobachtung
Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien

Islam statt daham

Eine Geistesgröße der Mehrheitsgesellschaft.

TMB-Kommentar zu "Islam statt daham" auf www.krone.at, 25. 5. 2011

Man stelle sich vor, die Online-Ausgabe einer muslimischen Zeitung bringt die Höhe- und Tiefpunkte der österreichischen Innenpolitik als filmische Serie. In einem der Videos sieht man den Reporter vor einer Marienstatue knien, Blick und gefaltete Hände himmelwärts gerichtet, ein Gebet karikierend. Nach einigen Sekunden erhebt er sich und meint: „Rein ergonomisch ist das überhaupt nicht meines“. Die abschließenden Worte eines seiner Gesprächspartner leitet der Reporter ein mit der Bemerkung: „Und für mich ganz persönlich noch ein Binsenvers aus dem Neuen Testament zum Abschied“. Im Abspann schließlich wird Gottes Größe verglichen mit der eigenen, in Metern gemessen. → →