Islam sells

Der Kommentar erschien am 27. 9. 2017 in der Wiener Zeitung.

Islam bringt Stimmen, Islam macht Quote, Islam lenkt ab. Wie man eine Religion und deren Angehörige auf ihre Kosten für politische Zwecke nutzen kann.

Ein neues Schlagwort macht die Runde: „der politische Islam“ ist in aller Munde, taucht in allen Medien auf und bei allen Parteien und wird bei jeder einschlägigen Veranstaltung erneut in die Köpfe der Wahlberechtigten gehämmert. Inzwischen kann bei dem Thema jeder mitreden. Es ist wie beim Wetter, beim Straßenverkehr und beim Sex, alle wissen Bescheid.
Zeitgerecht um den Wahlkampf und die Stimmung anzuheizen, erscheint Studie um Studie, die sich mit muslimischer Glaubenspraxis in Österreich befasst, jüngst also: „Die Muslimbruderschaft in Österreich“. Allein der Titel ist schon so ein Aufreger, dass man meinen könnte, der Untergang des Abendlandes nahe.

Was man aufgrund der Ankündigung und der Zusammenfassung erwartet, ist eine forschungsbasierte Durchleuchtung eventueller struktureller (ökonomischer, finanzieller, personeller, ideologischer) Verflechtungen der muslimischen Szenen Österreichs mit den Ablegern der Muslimbruderschaften in verschiedenen Ländern.

Aber es gibt keine eigene Datenerhebung, etwa eine Teilnehmende Beobachtung, die einzelne Institutionen in ihren Worten, Taten und Vernetzungen erforscht, oder Tiefeninterviews mit einzelnen Akteuren oder eine Diskursanalyse, die hieb- und stichfest Aufschluss darüber gäbe, was die Inhalte und Absichten unter der sichtbaren Oberfläche sind.

Es gibt keine Darlegung der Forschungsfragen, der verwendeten Methoden oder Kriterien der Interpretation. Als Quellen dienen auch nicht journalistische oder polit-aktivistische Recherchen, Geheimdienstinformationen oder Gerichtsdokumente.

Tatsächlich ist die Arbeit eine Kompilation aus bereits veröffentlichten Texten, und sie hat nichts enthüllt, was man nicht auch in Wikipedia-Beiträgen, Online-Publikationen und alten Zeitungsberichten nachlesen könnte, auf die sie sich im Übrigen beruft. Hier werden Fakten bekannt gemacht, die längst bekannt und teils widerlegt sind.

Schon der Titel enthält einen Widerspruch, weil es die Muslimbruderschaft als Organisation oder Institution in Österreich nicht gibt. Auch ist die Beweisführung zuweilen etwas dürftig. Nur weil man nahe verwandt ist mit jemandem, ist man noch nicht für dessen Handlungen verantwortlich. Sippenhaftung gehört normalerweise nicht zu den Rechtspraktiken, die auf den viel beschworenen europäischen Werten fußen.

Was auffällt ist, dass einzelne Personen und Institutionen an den Pranger gestellt werden, und die Belege sind Medienberichte. Etliche der Quellenangaben datieren zehn und mehr Jahre zurück, man darf daher annehmen, dass im Falle mutmaßlicher Rechtswidrigkeiten Exekutive und Judikative längst in Aktion getreten wären.

Als Kooperationspartner scheint das Bundesamt für Verfassungsschutz und
Terrorismusbekämpfung auf, in der Biografie des Autors wird dessen Expertise in Extremismus, Dschihadismus und Deradikalisierung betont. Zwar besteht zwischen den Terroranschlägen in Europa und den Muslimbrüdern keinerlei Zusammenhang, was auch auf S. 35 erwähnt wird, aber im gegebenen Kontext und besonders in der Berichterstattung über die Studie geht dies unter.
Dass das Gedankengut der Muslimbrüder in Österreich und überall auf der Welt zirkuliert, ist nichts Neues, aber nur, weil man Hassan al-Bannas – des Gründers – Schriften liest, ist man noch kein Verbrecher. Der gesamte Arabische Frühling, der in Europa mit so viel Freude begrüßt wurde, weil er nichts anderes wollte als demokratische Erneuerung, Mitbestimmung und Würde für alle, bezog ein Gutteil seiner Kraft aus dem Gedankengut der Muslimbruderschaft, ebenso finanzielle und personelle Ressourcen, die ihn mittrugen.

Kurz vor dem Urnengang kommt diese Publikation gerade recht, um mit ihrer Hilfe in den einschlägigen Blättern und Blogs einzelne Personen zu desavouieren und generell anti-muslimische Stimmung zu verbreiten.

Beim Thema Islam scheint inzwischen die Beweislastumkehr zu gelten: Die Beschuldigten müssen darlegen, dass sie unschuldig sind. Muslime müssen ständig beweisen, dass ihnen Demokratie, Menschenrechte, Gewaltfreiheit, Gleichberechtigung der Geschlechter und Schwimmunterricht ebenso wichtig sind wie dem Rest der Bevölkerung Österreichs. Demnächst werden sie wohl beteuern müssen, dass sie nicht gerade dabei sind, ein Alpen-Kalifat zu errichten.

Ingrid Thurner