Ein Kopftuchverbot in der Schule kann Abschottung fördern.

Der Kommentar erschien am 29. 11. 2018 in der Wiener Zeitung.

Wie man mittels Körperpolitiken gesellschaftliche Normierungen durchsetzt.

Es gibt hierzulande ein eingespieltes Ritual. Immer, wenn man die Bevölkerung von unangenehmen Sachverhalten ablenken will, werden Kopftücher ausgepackt – und schon ist das unbequeme Thema vom Tisch, aus den Medien und aus den Gedanken potenzieller Kritiker.

Auch diesmal hat das Zündeln wieder geklappt, die alte Debatte ist neu entfacht, und sie lodert auf Kosten einer Minderheit. Im anstehenden Fall werden Schülerinnen instrumentalisiert. Vorgeblich zu ihrem Schutz sollen sie elterlichem Zwang entzogen werden. Unter dem Vorwand für Kinderrechte einzutreten und die Sexualisierung kleiner Mädchen verhindern zu wollen, will man also nun „das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist“ in Volksschulen untersagen.

Mit diesem Gesetzesentwurf wird pauschal unterstellt, dass muslimische Erziehungsberechtigte ihre Töchter zu unerwünschten Handlungen nötigen. Zudem wird schon kleinen Kindern signalisiert, dass freie Religionsausübung für jene Gruppe, der sie sich zugehörig fühlen, nicht gilt.

Nicht ein Kopftuch ist „mit österreichischen Grundwerten nicht vereinbar“, wie der Herr Vizekanzler meint, sondern ein Kopftuchverbot. Es wird missachtet, dass das Recht jedes Einzelnen, seine Religion zu praktizieren, in der europäischen Menschenrechtskonvention garantiert ist und auch in der österreichischen Verfassung. Im Rahmen der positiven Religionsfreiheit darf man die Verschleierung niemandem verbieten und im Rahmen der negativen Religionsfreiheit darf auch niemand dazu gezwungen werden. Sollten Eltern dies nicht wissen oder ignorieren, wären Aufklärungsmaßnahmen und Überzeugungsarbeit sinnvoll.

Zudem wäre es eine extremistische Auffassung, nicht Religionsmündige zur Verhüllung zu zwingen. Gibt es solche Fälle in Österreich? Niemand legt dazu Zahlen vor. Nach islamischen Rechtsvorstellungen und Gepflogenheiten ist das Bedecken der Haare ab dem Eintreten der Menstruation üblich. Es mögen auch kleinere Mädchen in spielerischem Umgang Textilien um ihre Köpfe wickeln, Kinder imitieren gerne Erwachsene, und die Lust darauf kann auch nach ein paar Tagen oder Wochen wieder verschwinden. Das ist etwas anderes als Zwang.

Verbote jedenfalls sind ein Eingriff in die elterliche Erziehungskompetenz. In Reaktion darauf könnten Väter und Mütter ihre Kinder in Privatschulen schicken, um sie staatlichen Kleiderordnungen gar nicht erst auszuliefern. Die Abschottung, die Angehörigen des Islam immer vorgeworfen wird, wird mit so einer Vorschrift nur begünstigt.

Und warum wird es nur Muslimen verwehrt, durch Körpergestaltung ihren Glauben sichtbar zu machen? Warum dürfen alle Nicht-Muslime weiterhin mittels visueller Praktiken ihre Religionszugehörigkeit kundtun? Wie ist es in einer liberalen Demokratie möglich, Menschen derart ungleich zu behandeln?

Allmählich wird die Zielsetzung der Körperpolitiken überdeutlich. Wenn das Gesetz dann vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wird, können die Zündler dennoch zufrieden sein: Die Stimmung gegen Muslime ist in jenen Teilen der Bevölkerung, die dafür anfällig sind, weiter aufgeheizt worden.

Durch systematische Stigmatisierung, Kriminalisierung und Marginalisierung der Angehörigen des Islam wird Schritt für Schritt der gesellschaftliche Umbau vorangetrieben: zuerst ein Vermummungsverbot, dann die Kindergärten, nun die Volksschulen. Nicht länger erwünscht sind weltoffene Bürger und Diversität der Lebensentwürfe. Gleichbehandlung aller Menschen ist kein Anliegen mehr, sondern Gleichmachung, also Normierung. Nicht Integration und schon gar nicht Inklusion, sondern Assimilation ist das politische Ziel.

Ein Gedanke zu „Ein Kopftuchverbot in der Schule kann Abschottung fördern.

  1. Ein sehr guter Kommentar!

    Man sollte auch nicht vergessen, dass das Tragen von Kopftüchern nicht nur im Islam üblich ist, sondern genauso in anderen Religionen, wie z. B. im Judentum (für verheiratete Frauen). Ein Kopftuch-Verbot für erwachsene Frauen (das ja so manchem Islamgegner vorschwebt) würde also letztlich auch viele jüdische Frauen treffen. Vielleicht sollte man das den Politikern einmal mitteilen.

    https://en.wikipedia.org/wiki/Tichel

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