Wenn es kracht in Favoriten …

Wer trägt die Verantwortung für die gewalttätigen Übergriffe bei friedlichen Demonstrationen?

Der Kommentar ist am 15. 7. 2020 in der Wiener Zeitung erschienen.

Wenn manche Politiker und manche Kommentatoren behaupten, die Ausschreitungen seien ein importierter ethnischer Konflikt zwischen Türken und Kurden, der sich in Europa fortsetze, dann ist das eine sehr verkürzte Darstellung, die die komplexen Ursachen nicht erkennen will. Bei den Angriffen von Randalierern mit niedrigem Durchschnittsalter auf Demonstrantinnen und Demonstranten, die gegen das Morden in Nordsyrien und für Frauenrechte auf die Straße gingen, prallen mehrere Gegensatzpaare aufeinander: Rechts und Links, Konservativ und Liberal, Mann und Frau, Nationalismus und Weltoffenheit.

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Die Utopie des Reisens unter dem Regime der Corona

Kann man den Rückzug aus der Weite hinein in eine Enge auch als Aufbruch in eine neue Selbstbestimmtheit begreifen?

Der Essay ist leicht gekürzt in Der Standard vom 6. 6. 2020, Album S. 3 erschienen.

Es sind nicht alle gleich vor den Viren und auch nicht vor den virenbedingten Restriktionen und Anschlägen auf die Autonomie der Person. Plötzlich wurde die Menschheit geschieden in die Kategorien systemrelevant oder entbehrlich. Auch wenn die globalisierten Coronaregime durch konformes Staatshandeln eine Unzahl von Beschäftigungslosen und Kurzarbeitern produziert haben, wird das sommerliche Bedürfnis nach Erholung und Abwechslung bestehen bleiben. Da es zudem niemanden gibt, dessen Leben und Alltag nicht von Grund auf umgekrempelt wurde, müssen die Freizeit- und Urlaubspraxen neu erfunden werden.

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Achtung: Enkel nicht streicheln!

Ältere Menschen haben es satt, im Namen der Heiligen Corona als hilfsbedürftige Alte stigmatisiert zu werden.

Der Kommentar ist leicht geändert in Die Presse vom 3. 4. 2020, S. 26 erschienen.

Die Einführung unbequemer Maßnahmen – deren Notwendigkeit hier nicht in Zweifel gezogen wird – erfolgt in zermürbender Regelmäßigkeit mit Verweis auf Alte und Kranke. 20- und 30-Jährige fühlen sich berechtigt und sogar verpflichtet, ihre Eltern und Großeltern zu ermahnen und zu maßregeln, was sie nun zu tun und zu lassen haben. Aber dieses „Wir müssen unsere Senioren schützen“ – viele der Generation 65plus können es nicht mehr hören. → →

Alle Jahre wieder

Überfüllte Strände, überteuertes Essen, überfordertes Personal: Warum begibt sich ein Großteil der Bevölkerungen der Industrienationen freiwillig und regelmäßig zu den gleichen Zeiten an die gleichen Orte?

Der Text erschien in der Wiener Zeitung, 29. 6. 2019.

Gereist wurde immer schon, die ältesten Schriftquellen befassen sich mit Mobilitäten, die Tontafelarchive aus Mesopotamien erzählen von Kriegszügen, von diplomatischen Beziehungen und von Handelsmissionen in entfernte Regionen. Gereist wird im Gilgamesch-Epos, im Alten Testament, bei Homer, die Geschichte des Menschseins ist auch eine der Bewegung im Raum. → →

Über Verbrecher und ihre Nationalitäten

Die Ursache von Morden liegt nicht in der Herkunft der Täter, sondern in sozialen Faktoren – und somit auch in der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung.

Der Kommentar erschien in der Wiener Zeitung, 6. 2. 2019.

In manch einseitiger Betrachtung wurden die jüngsten Bluttaten auf patriarchale Gesinnungen in den Herkunftsländern von Aggressoren zurückgeführt. Explizit oder implizit ergibt sich daraus die Forderung: Schafft Migration ab, dann sinkt die Kriminalitätsrate! Aber kann das stimmen? → →

Museum. Die Aneignung der Welt in ihren Dingen

Der Text erschien in der Wiener Zeitung, 19. 1. 2019.

Während für immer mehr Menschen der afrikanische Kontinent unbewohnbar wird und Geflüchtete zu Tausenden im Mittelmeer sterben, horten europäische Staaten afrikanische Kunstschätze in den Museen und pflegen mit ihnen ihren Ruf als Kulturnation.

Die international geführten Debatten um Herkunft und Verbleib von Museumsobjekten aus Übersee, für deren Erwerb so mancher Sammler vor kriminellen Machenschaften nicht zurückschreckte, lassen sich nicht länger ignorieren. In diesem politischen Klima werden vielerorts in Europa die einstigen Völkerkundemuseen umorganisiert, umbenannt und mit viel Trara und professioneller Öffentlichkeitsarbeit neu positioniert. Dabei greifen sie in Ästhetik und Ausstellungskonzepten auf uralte museologische Vorbilder zurück. → →

Zurück nach Afrika!

Der Text erschien in der Wiener Zeitung, 5. 12. 2018.

Dank Emmanuel Macrons überraschendem kulturpolitischen Vorstoß ist in ganz Europa die Debatte um geraubtes Museumsgut neu entbrannt.

Frankreich hat also beschlossen, ein paar Objekte an die westafrikanische Republik Benin zu überstellen – und zwar genau 26. Ob diese Rückgabe mehr ist als eine symbolische Geste, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist sie ein Signal für andere Länder, schleunigst ihre Kulturpolitik zu überdenken. Schon bangen ganze Museumsabteilungen um ihre Bestände und fragen sich, ob sie auch mit lauteren Mitteln in ihren Besitz gelangten.

Aber all die Fragen um Restitution verweisen nicht nur auf koloniale Schandtaten, sondern mehr noch auf artverwandte rezente Verbrechen. Es wird zwar nun über vergangenes Unrecht betulich herummoralisiert, aber gleichzeitig ist die neokoloniale Brutalität nicht geringer als die koloniale. Die museale Debatte verdeckt, dass die westlichen Maschinerien der Repression immer schneller Unglück produzieren. Nur die Methoden und die Waffen sind effizienter geworden. → →

Ein Kopftuchverbot in der Schule kann Abschottung fördern.

Der Kommentar erschien am 29. 11. 2018 in der Wiener Zeitung.

Wie man mittels Körperpolitiken gesellschaftliche Normierungen durchsetzt.

Es gibt hierzulande ein eingespieltes Ritual. Immer, wenn man die Bevölkerung von unangenehmen Sachverhalten ablenken will, werden Kopftücher ausgepackt – und schon ist das unbequeme Thema vom Tisch, aus den Medien und aus den Gedanken potenzieller Kritiker. → →

Verheiratet wider Willen?

Der Text erschien in der Wiener Zeitung, 20./21. 10. 2018.

Erzwungene Heiraten sind gemäß islamisch fundierten Rechtsauffassungen verboten und kommen seltener vor als eingeschworene Muslimfeinde gerne hätten.

Zwei Menschen entscheiden – nach Überlegungen, die sie für reiflich halten, und weil der Sex gerade passt – den Rest des Lebens gemeinsam zu verbringen. Mitunter nimmt einer der Partner den Namen des anderen an. So passieren Eheschließungen in westlich orientierten Gesellschaften.

Es gibt jedoch in allen Regionen der Welt Heiratspraktiken, die mit diesen Gepflogenheiten nicht im Geringsten übereinstimmen. Sozialanthropologisch betrachtet ist die freie Partnerwahl eine Ausnahmeerscheinung, die sich in liberalen Industriegesellschaften durchgesetzt hat – in den letzten hundert Jahren. → →

Muslimen reicht’s.

Über eine abendliche Diskussionsrunde in Karls Garten

Das Magazin „biber“, das über die multiethnische und multireligiöse Gesellschaft Österreichs berichtet, zeichnet sich einmal aus durch diverse Durchmischung seiner Redaktion und zudem, weil es pikante transkulturelle Themen aufgreift (Selbstbezeichnung: „biber mit scharf“), die die örtliche Medienlandschaft enorm bereichern, aber keineswegs den niedrigen Instinkten huldigen wie die anderen Gratisblätter.

Unlängst war die Zeitschrift Veranstalterin eines sommerlichen Podiums- und Publikumsgesprächs im Karls Garten: „Muslimen reicht’s“. → →